das ende der industriegesellschaft?
Wie wird sich unsere Gesellschaft weiterentwickeln? Wie werden wir im Jahr 2040 produzieren? Im Jahr 2001 entwickelten wir mit dem Projekt „grow“ die Vision, Pflanzen so zu züchten, dass sie industriell gefertigte Produkte ersetzen können. Vorbild ist eine Ameisenart, die ihre Nester nicht mehr baut, sondern ein lebendiges Haus besiedelt, das aus einem von selbst wachsenden Pilzgeflecht besteht.
Das Prinzip ist einfach: durch Veränderung der Erbinformation oder durch transgene Kombination mehrerer Pflanzen lassen sich Erscheinung und Eigenschaften beeinflussen. So entstehen lebendige Produkte wie Möbel, Leuchten oder Gebäude. Support-Produkte wie Nährböden und Injektionen dienen der Modifikation der Pflanzen während des Wachstums. Industrielle Produktion wird durch pflanzliche Züchtung ersetzt.
Das verändert die Beziehung des Nutzers zum Produkt grundlegend. Der Nutzer wird selbst zum Produzenten, zum Selbstversorger, der nur einen Bauplan in Form des Samens erwirbt. Es entsteht eine neue Symbiose mit dem Produkt, über den gesamten Lebenszyklus, da die Pflanzen lebendig bleiben und kontinuierlicher Pflege bedürfen. Zu Ende gedacht, hätte dieses Konzept vielfältige Auswirkungen auf die Industrie- und Konsumgesellschaft. Das Ersetzen von zentraler industrieller Produktion und Distribution durch dezentrales, individuelles Heranziehen hätte weitreichende Auswirkungen auf unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Selbstverständnis.
Ist das bloß ein Gedankenspiel, eine Utopie? Mitnichten. Im Kern geht es um den immanenten Widerspruch von Innovation und Nachhaltigkeit. In den Konzepten und Szenarien, die in den letzten Jahren u.a. unter dem Eindruck schwindender Ressourcen und durch ein wachsendes ökologisches Bewusstsein angestoßen wurden, zeigen sich Parallelen zu “grow“.
Um beispielsweise den Ressourceneinsatz zu optimieren, orientieren sich in der Bionik technische Konstruktionen in ihrer Baustruktur an Vorbildern aus der Natur bzw. an organischem Wachstum. Durch computergestützte Simulationsverfahren wie das SKO (Soft Kill Option) wachsen Produkte gemäß ihrer statischen Belastung im Rechner heran.
Bilder: Stefan Biller, HS Magdeburg 2012; cradle-to-cradle®, EPEA; www.epea.com; 3D-Drucker envisiontec perfactory
Noch weiter geht das cradle-to-cadle-Konzept, das eine Alternative zu Wegwerfprodukten darstellt. Nach dem Vorbild der Natur ist ein altes Produkt kein Müll, sondern Rohstoff. Dieser Kreislauf bedingt eine Veränderung industrieller Produktion und Distribution, da das gebrauchte Produkt als Wertstoff an den Hersteller oder einen Aufbereiter zurück geht. Das kann bedeuten, dass man ein Produkt gar nicht mehr erwirbt, sondern nur least oder dass das Produkt gänzlich durch einen Service oder eine andere Art von Lösung ersetzt wird.
Aber auch Trends wie Globalisierung und Verstädterung führen zu Gegentrends, dem Regionalen und dem Selbstmachen und -versorgen. Schon heute lassen sich zuhause auf 3D-Druckern einfache Produkte ausdrucken. Ohne aufwändige Werkzeuge, individuell angepasst, mit optimalem Materialeinsatz. Wir experimentieren seit geraumer Zeit mit Produkten aus 3D-gedrucktem Porzellan für den alltäglichen Gebrauch, wie z.B. keramische Leuchten, die mit einer Wandbefestigung aus gedruckten Kunststoffteilen und handelsüblichen Fassungen und Leuchtmitteln komplettiert sind.
Ein ähnlicher Ansatz der Selbst-Produktion ist das „urban farming“: die Menschen verlassen sich nicht mehr auf eine globalisierte Versorgung mit Nahrungsmitteln, sondern bauen auf Dächern oder Brachen selbst Gemüse an.
Wenn in Zukunft nicht mehr Produkte gekauft, sondern Lösungen geleast werden, wenn der Konsument nur noch Baupläne (oder Samenkörner) braucht und selbst Produzent wird, wie wird sich die Rolle des Produzenten ändern? Wird der Produzent vielmehr zum Kurator der möglichen Optionen? Wie wird die Idee in Zukunft bewertet? Die Anfänge sind erkennbar - jetzt gilt es, diese Chance für den Industriestandort und seine Zukunft positiv zu nutzen.